Aktuelles aus der Homöopathie
Wie sinnvoll sind Nahrungsergänzungsmittel, was ist zu beachten?
Nahrungsergänzungsmittel sind mittlerweile in aller Munde – im wahrsten Sinne des Wortes. Über eine Milliarde Euro gibt Deutschland jährlich für Vitamine, Mineralstoffe und Spurelemente aus. Als Tabletten, Kapseln, Pulvern und Flüssigkeiten sollen sie liefern, woran es unserer Gesundheit mangelt. Im örtlichen Handel und zunehmend auch im Internet wird man von dem vielfältigen Angebot geradezu erschlagen. Da stellt sich die Frage: Wer braucht solche Zusatzpräparate wirklich – und welche?
Nahrungsergänzungsmittel sollen Mangelerscheinungen beheben
Das vielfältige Angebot an NEM, so das Kürzel, soll vor allem Mangelzustände beseitigen. Mineralstoffe und Spurenelemente kann der Mensch nicht selbst herstellen und muss sie daher mit der Nahrung zuführen. Gleiches gilt für Vitamine – in der Evolution waren sie stets so reichlich vorhanden, dass der Körper sich den Aufwand mit der Eigensynthese sparen konnte. Nur die nötigen Ausgangssubstanzen muss er zur Verfügung haben, wie etwa das Betacarotin aus Möhren, das er zu Vitamin A verarbeitet.
Ähnlich sieht es mit weiteren Inhaltsstoffen aus, denen man eine gesundheitsfördernde Wirkung nachsagt, wie etwa Omega-Fettsäuren oder Eiweißbausteine wie L-Carnitin. Über die notwendigen Mengen streiten sich Wissenschaftler und Anbieter.
Bei nachgewiesenem Mineralstoff- und Vitaminmangel sind Ergänzungspräparate auch in der Schulmedizin üblich
Beim Fehlen einer wichtigen Substanz im Körper sorgen auch Schulmediziner erst einmal für die Auffüllung der Vorräte. Kaliummangel zum Beispiel wird mit speziellen Kalium-Kapseln oder Brausetabletten behandelt – auch wenn in den meisten Fällen ab und zu eine an Kalium reiche Banane sinnvoller wäre.
Ähnlich sieht es mit dem Vitamin D aus, das Orthopäden bei Osteoporose verschreiben. Eines der dafür üblichen Medikamente enthält eine hohe Dosis Vitamin D in einer Kapsel, die alle zwei Wochen eingenommen einen weiteren Abbau der Knochensubstanz verhindern soll. Die Speicherung von Vitamin D im Fettgewebe macht solche Abstände möglich.
Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel, keine Arzneimittel!
Nach dem Gesetz gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel – damit sind sie frei verkäuflich, sodass man kein Rezept benötigt und sie außerhalb von Apotheken erwerben kann. Ebenso gelten für die Anforderungen an Qualität und Sicherheit andere Richtlinien als für Arzneimittel.
Im Gegensatz zu Arzneimitteln, die ein aufwändiges Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, darf ein Nahrungsergänzungsmittel keine pharmakologische Wirkung haben und dient lediglich der Zufuhr von Nährstoffen. Werbung mit expliziten Angaben über Vorbeugung, Linderung oder Heilung von Krankheiten ist laut Health Claims-Verordnung verboten. Sprüche wie Zur Unterstützung der Abwehrkräfte sind daher allgemein gehalten, sagen aber nur wenig über die wissenschaftlich erwiesene Wirksamkeit aus.
Zu viel ist schädlich: Achten Sie auf das Kleingedruckte!
Viel hilft viel? Ganz im Gegenteil. Beispiel Vitamine: Die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K sammeln sich im Fettgewebe an und können im Übermaß genossen schwere Erkrankungen hervorrufen. Im klinischen Alltag spielen inzwischen Vitamin-Überschüsse (Hypervitaminosen) bis hin zu Vergiftungen eine wesentlich größere Rolle als Vitaminmangel (Hypovitaminosen). Was bei normaler Ernährung so gut wie ausgeschlossen ist, wird bei Nahrungsergänzungsmitteln schnell zum Problem.
Daher ist es unbedingt notwendig, die auf Verpackung und Beipackzettel angegebene tägliche Verzehrmenge nicht zu überschreiten. Oftmals liegt selbst diese über den Empfehlungen von Stellen wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) oder des Bundesamtes für Risikobewertung (BfR).
Die Packungsbeilage sollte man in jedem Fall durchlesen, um keine bösen Überraschungen zu erleben. Das als Beruhigungsmittel beliebte Johanniskraut macht in großen Mengen genossen die Haut empfindlicher gegen Sonnenlicht. Patienten haben sich schon öfters gewundert, woher bei heiterem Wetter ein Sonnenbrand kommt. Auch bei anderen Inhaltsstoffen gibt es ähnliche Warnhinweise, die es zu berücksichtigen gilt.
Pflanzlich bedeutet nicht harmlos!
Alles natürlich? Dass Nahrungsergänzungsmittel offiziell als Lebensmittel gelten und nur pflanzliche Inhaltsstoffe enthalten, heißt noch lange nicht, dass sie harmlos sind. Gerade Kinder freuen sich über schöne bunte Dragees mit einem süßen Überzug oder lustige Kapseln mit einem Pülverchen darin. Wie bei Arzneimitteln gilt auch hier: Außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahren. Dieser Hinweis ist auf jeder Umverpackung zu finden – und das aus gutem Grund.
Rein pflanzlich und 100% natürlich liest man des Öfteren, aber der Aussagewert ist gleich Null. Fliegenpilz, Fingerhut und Tollkirsche sind ebenfalls natürlich, aber alles andere als harmlos. Arzneilich unbedenklich werden Amanita, Digitalis und Belladonna erst durch homöopathische Aufbereitung. Ohne Aussagekraft sind auch Begriffe wie geprüft, zertifiziert, standardisiert und ähnliche Phrasen.
Versprochen wird viel, bewiesen ist wenig
Großspurige Versprechungen der Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln entsprechen selten der trockenen wissenschaftlichen Realität. Mittlerweile weiß man, dass Vitamin C Erkältungskrankheiten nicht vorbeugt, und für die krebsvorbeugende Wirkung vieler Wundermittel sucht man vergeblich nach haltbaren Beweisen. Bestätigte Ausnahmen gibt es wenige, wie beispielsweise die präventive Wirkung von Vitamin D auf die Entstehung von Darmkrebs oder der Schutz der Augen vor Altersblindheit (AMD) durch eine Kombination aus Vitamin C, Vitamin E, Betacarotin, Zink und Kupfer, die in der AREDS-Studie nachgewiesen wurde.
Vorsicht Internet!
Insbesondere das Internet lockt mit unzähligen Präparaten und vollmundigen Versprechungen. Wundermittel verhindern Krebs, beseitigen alle Krankheiten, lassen die Haare wieder wachsen und bringen das Silberbesteck auf Hochglanz? Halten Sie sich an eine einfache Regel: Je lauter das Geschrei, umso mehr Vorsicht ist angebracht.
Was aus dem Ausland kommt, umgeht in vielen Fällen das strenge deutsche Lebensmittelrecht, und die Dosierung von Inhaltsstoffen ist oft so hoch, dass es sich streng genommen um ein Arzneimittel handelt. Noch schlimmer wird die Angelegenheit, wenn illegale Substanzen verarbeitet wurden oder die Zubereitung nachlässig erfolgt.
Beispiel Ginkgo: Was in Billigware noch hochgiftiges Ginkgotoxin enthält, ist in namhaften Präparaten säuberlich von allen Giftstoffen befreit und hilft nachweislich ebenso gut gegen Demenz wie die schulmedizinische Standardmedikation. Oder Omega-Fettsäuren: Überdosiertes Fischöl schwächt das Immunsystem und kann schwere Herzrhythmusstörungen verursachen.
Bestellen Sie Schlankheitspillen, Potenzmittel und Muskelaufbaupräparate fürs Bodybuilding übers Internet aus obskurer Quelle, bekommen Sie häufig gesundheitsschädliche Substanzen, übertriebene Dosierungen und falsche Angaben frei Haus. Von gesundheitlichen Beeinträchtigungen abgesehen riskieren Sie zudem, dass der Zoll die Lieferung beschlagnahmt. In Ihrer Apotheke sind Sie da sicherlich besser aufgehoben, auch wenn die Nahrungsergänzungsmittel etwas mehr kosten.
Nahrungsergänzungsmittel können eine gesunde Ernährung nicht ersetzen!
Diesen Hinweis findet man von Gesetzes wegen sinngemäß auf allen Verpackungen. Pillen und Kapseln schlucken ist bequemer als sich in die Küche zu stellen und Äpfel zu schälen oder Orangen auszupressen. Gleiches gilt für die gesamte Lebensweise: Stress in Beruf und Familie, Fast Food und den Abend mit der Chipstüte vor dem Fernseher zu verbringen lassen sich mit keiner Pille der Welt einfach so nebenbei wieder geradebiegen.
Wer körperlich und geistig gesund ist und sich abwechslungsreich ernährt, leidet so gut wie nie an Mangelerscheinungen. Hier noch einmal das Beispiel Vitamin D: Wer Zeit für Sonne hat, sollte sie auch wahrnehmen. Der Körper bildet nur so viel von dem Sonnenvitamin wie er benötigt, eine Hypervitaminose ist garantiert ausgeschlossen.
Anders sieht das bei bettlägerigen und pflegebedürftigen Menschen aus, die nur selten ins Freie kommen. Abgesehen von einer gesunden Ernährung (die in Pflegeheimen oft nur ein Wunschtraum ist) sind hier Vitamin D-Präparate so gut wie immer angebracht.
Wann sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
Auch bei gesunden Menschen sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll, wenn ein erhöhter Bedarf an bestimmten Substanzen besteht. Das gilt insbesondere für Folsäure in der Schwangerschaft oder Vitamin B12 bei veganer Ernährung. Im Krankheitsfall steigt der Bedarf an vielen Substanzen, etwa während einer Chemotherapie, bei Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder chronischen Erkrankungen von Leber und Nieren. In solchen Fällen ist die Aufnahme über den Darm verringert und/oder Abbau und Ausscheidung sind beschleunigt.
Im Zweifelsfalle: Reden Sie mit Ihrem Arzt!
Ihr Hausarzt ist die wichtigste Anlaufstelle, wenn es um Ihre Gesundheit geht. Falls Sie sich nicht optimal versorgt und betreut fühlen und kein Vertrauen zu ihm haben, sollten Sie über einen Arztwechsel nachdenken. Das ist völlig unabhängig davon, ob Sie zugleich einen Homöopathen oder Heilpraktiker besuchen. Einige gesundheitlichen Belange sind nun mal nur mithilfe eines Schulmediziners zu klären, und sei es nur die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder das Verschreiben rezeptpflichtiger Medikamente in einem Notfall.
Etwas zu verschweigen fällt früher oder später auf Sie zurück, wenn Sie mit Beschwerden ankommen und der Arzt nicht weiß, dass Ihre unerklärlichen Laborwerte mit der Einnahme eines abenteuerlichen Nahrungsergänzungsmittels aus dem Fernen Osten zu tun haben könnten. Ebenso wenig kann er ahnen, ob Sie seit Monaten viel zu viel von einer gut gemeinten Pille einnehmen.
Ein vernünftiger Hausarzt wird sich geduldig Ihre Fragen über Nahrungsergänzungsmittel anhören und Ihnen fundierte Empfehlungen geben. Er kennt Ihre Krankengeschichte genau und kann wesentlich besser als Dr. Google beurteilen, ob Sie ein Nahrungsergänzungspräparat benötigen und was am besten geeignet ist. Bei Einnahme von Vitamin D wird er Ihnen beispielsweise eine ausreichende Calciumversorgung ans Herz legen und gegebenenfalls den Blutwert beider Parameter bestimmen. Zuviel Vitamin D und gleichzeitig zu wenig Calcium im Blut hat verheerende Auswirkungen auf die Knochengesundheit.
Falls Sie Medikamente einnehmen, ist auch das ein wichtiger Punkt. Einige Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln können mit Arzneimittelwirkungen interagieren und unerwünschte Begleiterscheinungen hervorrufen. Das gilt beispielsweise für die Anti-Baby-Pille, Blutgerinnungshemmer oder Antidepressiva, die in ihrer Wirkung verstärkt oder vermindert werden. Auch in diesen Fällen steht Ihnen Ihr Hausarzt beratend zur Seite. Kaufen Sie Nahrungsergänzungsmittel in Ihrer Apotheke, wird man Sie dort ebenfalls gerne über mögliche Wechselwirkungen informieren.
Quellen, Links und weiterführende Literatur
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Was sind Nahrungsergänzungsmittel?
https://www.gesundheitsinformation.de/was-sind-nahrungsergaenzungsmittel.2278.de.html - Verbraucherzentrale: Endlich Klartext bei Nahrungsergänzungsmitteln.
https://www.verbraucherzentrale.de/aktuelle-meldungen/lebensmittel/endlich-klartext-bei-nahrungsergaenzungsmitteln-13409 - Stiftung Warentest: Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel.
https://www.test.de/thema/nahrungsergaenzungsmittel/ - Ärzteblatt: Fachgesellschaften warnen vor unkritischem Umgang mit Nahrungsergänzungsmitteln.
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/Nahrungserg%E4nzungsmittel?nid=105905 - Age-related eye disease study (AREDS).
https://web.archive.org/web/20140914222944/https://web.emmes.com/study/areds/ - Feldman D, Krishnan AV, Swami S, Giovannucci E, Feldman BJ: The role of vitamin D in reducing cancer risk and progression.Nat Rev Cancer. 2014 May;14(5):342-57. doi: 10.1038/nrc3691. Epub 2014 Apr 4. Review.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24705652
Autor
Dr. rer. medic. Harald Stephan - Biologe und promovierter Medizinwissenschaftler
Weitere aktuelle Beiträge
Redaktionelle Leitung und Qualitätssicherung: Heilpraktikerin Ulrike Schlüter
Unsere Quellenangaben
Bitte beachten Sie:
Die hier gefundenen Informationen ersetzen keinen Arztbesuch! Wenden Sie sich bei Krankheiten und Beschwerden an einen Heilpraktiker, Arzt oder Apotheker!